Das Tao Te King
何謂寵辱若驚?
寵為下,得之若驚,失之若驚,是謂寵辱若驚。
何謂貴大患若身?
吾所以有大患者,為吾有身,及吾無身,吾有何患?
故貴以身為天下,若可寄天下;愛以身為天下,若可託天下。
Gunst und Schmach sind gleich dem Schreck.
Hoher Rang ist ein großes Übel wie der Leib.
Was heißt das: Gunst und Schmach sind gleich dem Schreck?
Gunst erniedrigt. Gewinnt man sie, so ist es wie Schreck.
Verliert man sie, so ist es wie Schreck.
Das heißt: Gunst und Schmach sind gleich dem Schreck.
Was heißt das: Hoher Rang ist ein großes Übel wie der Leib?
Dass ich großes Übel habe, kommt daher, dass ich einen Leib habe.
Wenn ich keinen Leib habe, was für Übel hätte ich da?
Darum: Wer in seinem Leibe das Reich achtet, dem kann man das Reich anvertrauen.
Wer in seinem Leibe das Reich liebt, dem kann man das Reich übergeben.
Laozi warnt uns eindringlich davor, unser inneres Gleichgewicht von externen Bewertungen abhängig zu machen. Wir neigen dazu, Lob als positiv und Tadel als negativ zu betrachten, doch das Tao lehrt uns, dass beide Seiten derselben Medaille entspringen: der Angst. Wenn wir Gunst empfangen, fürchten wir ihren Verlust; wenn wir Schmach erleiden, fürchten wir die Konsequenzen. In beiden Fällen sind wir nicht frei, sondern Sklaven der Meinung anderer. Diese psychologische Abhängigkeit erzeugt eine ständige Unruhe, die uns daran hindert, authentisch zu leben. Wahre Souveränität erreichen wir erst, wenn wir Lob und Tadel mit demselben Gleichmut begegnen und unseren Wert in uns selbst verankern. Dies erinnert an die stoische Ruhe oder die deutsche philosophische Tradition der inneren Freiheit, die unabhängig von äußeren Umständen besteht.
Beispiele: Ein Politiker, der seine Prinzipien für Umfragewerte opfert, verliert sich selbst. Ein Wissenschaftler, der nur für Preise forscht, verliert die Wahrheit aus den Augen.
Der Text identifiziert den "Leib" – hier verstanden als das Ego oder das selbstbezogene Ich – als die Wurzel unserer tiefsten Ängste. Wir leiden, weil wir etwas zu verteidigen haben: unseren Ruf, unseren Besitz, unser Selbstbild. Solange wir uns mit dieser begrenzten Form identifizieren, sind wir verwundbar wie ein offener Nerv. Laozi stellt die radikale Frage: "Wenn ich keinen Leib habe, was für Übel hätte ich da?" Dies bedeutet nicht physische Selbstaufgabe, sondern das Loslassen der egozentrischen Wichtigkeit. Wenn wir aufhören, das Universum nur durch die Brille unserer eigenen Wünsche und Ängste zu betrachten, fallen die großen Sorgen von uns ab. Wir werden durchlässig für das Leben, statt uns ihm als fester Block entgegenzustellen.
Beispiele: Wer keine Angst hat, sein Gesicht zu verlieren, kann in Verhandlungen ehrlich sein. Wer nicht an Statussymbolen hängt, fürchtet keine wirtschaftlichen Krisen.
Dieses Kapitel gipfelt in einer tiefgründigen Definition wahrer Führungsqualitäten. Es besagt, dass nur derjenige würdig ist, Macht auszuüben, der die Welt (oder sein Verantwortungsgebiet) mit derselben Sorgfalt und Liebe behandelt wie seinen eigenen Körper. Die meisten Menschen nutzen Macht, um ihr Ego zu nähren, was zwangsläufig zu Ausbeutung und Ungleichgewicht führt. Der taoistische Weise hingegen sieht keine Trennung zwischen sich und der Welt. Er führt nicht durch Dominanz, sondern durch Dienst und Fürsorge. Diese Haltung ist essenziell für nachhaltiges Handeln: Man beutet die Ressourcen nicht aus, sondern pflegt sie, um ihren Bestand zu sichern. Vertrauen verdient nur, wer sich selbst zurücknimmt, um dem Ganzen zu dienen.
Beispiele: Ein Unternehmer, der auf Gewinne verzichtet, um umweltfreundliche Produktionsmethoden einzuführen. Ein Elternteil, das die Entfaltung des Kindes über die eigenen Ambitionen stellt.
Das Problem: Herr Müller, ein präziser Buchhalter, definiert seinen Selbstwert ausschließlich über das Feedback seines Vorgesetzten. Jedes Ausbleiben von Lob interpretiert er sofort als stillen Tadel. Diese ständige Anspannung führt zu Schlafstörungen und Fehleranfälligkeit, da er seine Energie darauf verschwendet, Reaktionen zu antizipieren, statt sich auf seine fachliche Arbeit zu konzentrieren.
Die taoistische Lösung: Die Lösung liegt in der Erkenntnis, dass "Gunst" eine Fessel ist. Herr Müller lernt, seine Arbeit als intrinsischen Wert zu betrachten, unabhängig von externer Resonanz. Er übt sich in "Wu Wei" (mühelosem Handeln), indem er seine Aufgaben mit Sorgfalt erfüllt, aber das Ergebnis emotional loslässt. Indem er sich von der Sucht nach Bestätigung befreit, findet er zu seiner professionellen Ruhe zurück und seine Leistung stabilisiert sich auf natürliche Weise.
Das Problem: In einer Gesellschaft, die digitalen Exhibitionismus belohnt, fühlt sich eine junge Frau gezwungen, ihr Privatleben ständig online zu inszenieren. Die Angst, ohne diese digitale "Gunst" unsichtbar zu sein, erzeugt enormen Druck. Sie opfert ihre Privatsphäre und Datensicherheit, nur um das künstliche Bild eines perfekten Lebens aufrechtzuerhalten, was sie innerlich aushöhlt.
Die taoistische Lösung: Sie erkennt, dass dieses digitale Ego ("der Leib") die Quelle ihres Leidens ist. Taoistisch gesehen bedeutet "keinen Leib zu haben", sich aus dem Wettbewerb der Eitelkeiten zurückzuziehen. Sie reduziert ihre Online-Präsenz drastisch und schützt ihre Daten (ganz im Sinne der deutschen Datensparsamkeit). Indem sie den Wert auf echte, unveröffentlichte Erlebnisse legt, gewinnt sie ihre Freiheit und ihren inneren Frieden zurück. Sie lebt wieder für sich, nicht für das Publikum.
Das Problem: Ein Projektleiter in einem Start-up glaubt, er müsse Härte zeigen, um respektiert zu werden. Er fordert ständige Erreichbarkeit und opfert die Gesundheit seines Teams für kurzfristige Ziele. Er sieht seine Mitarbeiter als Ressourcen, nicht als Menschen. Dies führt zu Burnout im Team und einem Vertrauensverlust, der das Projekt gefährdet.
Die taoistische Lösung: Er muss lernen, das Projekt so zu lieben wie seinen eigenen Körper. Das bedeutet: Wenn der Körper (das Team) Ruhe braucht, muss er sie gewähren. Er respektiert den "Feierabend" und die Grenzen seiner Mitarbeiter als heiliges Prinzip der Regeneration. Indem er fürsorglich statt fordernd agiert, wird er zu jemandem, dem man "das Reich anvertrauen" kann. Sein Team folgt ihm nun aus Loyalität, nicht aus Zwang, und der langfristige Erfolg ist gesichert.