Das Tao Te King
天得一以清;地得一以寧;
神得一以靈;谷得一以盈;
萬物得一以生;
侯王得一以為天下貞。
...
故貴以賤為本,高以下為基。
是以侯王自謂孤、寡、不穀。
此其以賤為本邪?非乎?
故致數輿無輿。
不欲琭琭如玉,珞珞如石。
Die vor alters das Eine erlangten:
Der Himmel erlangte das Eine, um klar zu sein.
Die Erde erlangte das Eine, um fest zu sein.
Die Geister erlangten das Eine, um wirksam zu sein.
Die Täler erlangten das Eine, um voll zu sein.
Die zehntausend Wesen erlangten das Eine, um lebendig zu sein.
Fürsten und Könige erlangten das Eine, um der Welt Maßstab zu sein.
Das ist es, was jenes bewirkt hat.
Wenn der Himmel nicht klar wäre, so müsste er wohl bersten.
Wenn die Erde nicht fest wäre, so müsste sie wohl wanken.
Wenn die Geister nicht wirksam wären, so müssten sie wohl erlöschen.
Wenn die Täler nicht voll wären, so müssten sie wohl versiegen.
Wenn die zehntausend Wesen nicht lebendig wären, so müssten sie wohl vernichtet werden.
Wenn Fürsten und Könige nicht vornehm wären, so müssten sie wohl stürzen.
Darum ist das Vornehme im Geringen gewurzelt.
Das Hohe hat das Niedrige zum Grund.
Darum nennen sich die Fürsten und Könige: die Verwaisten, die Einsamen, die Unzulänglichen.
Ist das nicht so, weil sie im Geringen ihre Wurzel haben?
Darum: Wer zu viel Ehre hat, hat keine Ehre.
Nicht begehren, wie Jade zu glänzen, sondern wie Steine abgetönt zu sein.
Laozi postuliert das „Eine“ als metaphysisches Fundament, ohne das die phänomenale Welt in Chaos und Zerfall abgleiten würde.
In der philosophischen Tradition, die oft nach dem absoluten Grund sucht, resoniert dieses Konzept stark: Das „Eine“ ist nicht numerisch zu verstehen, sondern als integrierende Kraft, die Kohärenz schafft.
Himmel, Erde und Geist sind keine isolierten Entitäten, sondern Ausdrucksformen einer zugrundeliegenden Ordnung; reißt diese Verbindung zum Ursprung ab, verlieren die Dinge ihre essentielle Funktion.
Es ist eine Warnung vor der Fragmentierung, die wir in der Moderne oft erleben, sei es durch übermäßige Spezialisierung oder soziale Entfremdung.
Ein Orchester klingt nur dann harmonisch, wenn alle Instrumente auf den gleichen Grundton gestimmt sind; fehlt diese Einheit, entsteht Kakophonie.
Ebenso muss in der Architektur das Fundament solide sein, damit die filigrane Spitze stehen kann; ohne die unsichtbare Basis stürzt das sichtbare Bauwerk ein.
Wahre Größe manifestiert sich paradoxerweise durch die Anerkennung und Integration des Niedrigen als unverzichtbare Basis.
Dies erinnert an die Dialektik, in der Gegensätze eine notwendige Einheit bilden: Laozi betont, dass „das Hohe“ (Adel, Erfolg, Führung) ontologisch vom „Niedrigen“ (dem Volk, der Basis, der Demut) abhängt.
Ein Baum kann seine Krone nur so hoch in den Himmel strecken, wie seine Wurzeln tief in die dunkle Erde reichen; wer versucht, oben zu schweben, ohne unten verwurzelt zu sein, verliert den Halt.
In einer Leistungsgesellschaft, die oft nur den Gipfel feiert, ist dies eine Mahnung zur Bodenständigkeit und Demut.
Ein CEO, der den Kontakt zur Belegschaft in der Produktion verliert, wird strategische Fehlentscheidungen treffen, da ihm der Bezug zur Realität fehlt.
Ein Bergsteiger weiß, dass der Gipfelsieg nur möglich ist, weil der massive Berg unter ihm ihn trägt; ohne den „niedrigen“ Fels gäbe es keine „hohe“ Aussicht.
Der Text fordert dazu auf, die raue Authentizität eines Steins dem polierten, aber zerbrechlichen Glanz der Jade vorzuziehen.
In einer Zeit der Selbstinszenierung ist dies ein radikaler Aufruf zur Authentizität: Jade ist kostbar und wird zur Schau gestellt, ist aber auch ein Objekt der Begierde und des Neides.
Der Stein hingegen ist gewöhnlich, robust und unauffällig – er ruht in sich selbst und benötigt keine externe Bestätigung.
Laozi warnt vor der Gefahr, „zu viel Ehre“ anzustreben, da dies das Ego aufbläht und die innere Ruhe stört; es geht um den Wert des „Seins“ gegenüber dem „Schein“.
Ein altes Fachwerkhaus mag krumme Balken haben, aber es hat Jahrhunderte überdauert, während moderne Glasfassaden oft schnell veralten und ständige Pflege benötigen.
Ein stiller Experte, der Probleme im Hintergrund löst, ist für das Ganze wertvoller als der laute Redner, der nur glänzt, aber keine Substanz liefert.
Das Problem: Ein junger Nachfolger übernimmt ein traditionelles Familienunternehmen. Er tritt elitär auf, nutzt nur Management-Buzzwords und ignoriert die Erfahrungen der langjährigen Mitarbeiter in der Werkstatt. Die Belegschaft fühlt sich entfremdet, die Qualität sinkt, und der soziale Frieden im Betrieb ist gefährdet. Er droht, wie der Himmel ohne Klarheit, zu „bersten“.
Die taoistische Lösung: Er muss das Prinzip „Das Hohe hat das Niedrige zum Grund“ verinnerlichen. Anstatt im Büro zu glänzen wie Jade, sollte er sich „grob wie Stein“ zeigen und Zeit an der Basis verbringen. Er muss anerkennen, dass seine Position vollständig von der Arbeit der Angestellten abhängt. Indem er sich als Diener des Ganzen versteht, gewinnt er Loyalität zurück und stabilisiert die Firma.
Das Problem: Eine ambitionierte Architektin definiert ihren Selbstwert ausschließlich über Auszeichnungen und Lob. Sie will wie ein makelloses Juwel sein, immer strahlend, ohne Ecken und Kanten. Dieser Druck, eine perfekte Fassade aufrechtzuerhalten, führt zu innerer Leere und Erschöpfung. Sie hat das „Eine“ – ihre innere Mitte – verloren und droht psychisch zu zerbrechen.
Die taoistische Lösung: Die Lösung ist die Rückkehr zur Qualität des Steins. Sie darf aufhören, „klingeln und glänzen“ zu wollen wie Jade. Sie sollte akzeptieren, dass sie auch rau und unfertig sein darf. Wahre Stabilität kommt nicht aus externer Bewunderung, sondern aus innerer Ruhe. Indem sie den Anspruch auf Exzellenz loslässt und Einfachheit zulässt, findet sie ihre Energie wieder.
Das Problem: Ein Konsument ist gefangen im Zyklus von Statussymbolen und schnellem Konsum. Er kauft ständig neue, glänzende Produkte, um eine Identität zu konstruieren, fühlt sich aber innerlich hohl. Er ignoriert die ökologischen Kosten, auf denen sein Konsum basiert, und behandelt die Natur nicht als Wurzel, sondern als bloße Ressource.
Die taoistische Lösung: Er muss die Einheit mit der Natur wiederherstellen („Die Erde erlangte das Eine, um fest zu sein“). Anstatt nach dem glänzenden Neuen zu jagen, wählt er das Beständige: langlebige Qualität und Reparatur statt Neukauf. Er erkennt, dass sein Wohlstand auf der Gesundheit des Ökosystems beruht. Indem er sich für Bescheidenheit (Stein statt Jade) entscheidet, findet er tieferen Sinn.