Dao De Jing

Kapitel Siebenundsechzig
Originaltext
天下皆謂我道大,似不肖。
夫唯大,故似不肖。若肖,久矣其細也夫!
我有三寶,持而保之:
一曰慈,二曰儉,三曰不敢為天下先。
慈故能勇;儉故能廣;不敢為天下先,故能成器長。
今舍慈且勇;舍儉且廣;舍後且先;死矣!
夫慈,以戰則勝,以守則固。天將救之,以慈衛之。
Tiānxià jiē wèi wǒ dào dà, sì bù xiào. Fū wéi dà, gù sì bù xiào. Ruò xiào, jiǔ yǐ qí xì yě fū!
Deutsche Übersetzung

Alle Welt sagt, mein Dao sei groß und scheine keinem Ding zu gleichen.
Gerade weil es groß ist, gleicht es keinem Ding. Gliche es einem Ding, längst wäre es klein geworden!

Ich habe drei Schätze, die ich hüte und bewahre:
Der erste heißt Güte, der zweite heißt Genügsamkeit, der dritte heißt: nicht wagen, der Welt voranzugehen.

Durch Güte kann man mutig sein; durch Genügsamkeit kann man großzügig sein; durch Nicht-Vorangehen kann man zum Führer der Gefäße werden.

Heute verlässt man die Güte und sucht dennoch Mut; verlässt die Genügsamkeit und sucht dennoch Weite; verlässt das Zurückbleiben und sucht dennoch voranzugehen – das ist der Tod!

Denn Güte: im Kampf bringt sie Sieg, in der Verteidigung bringt sie Festigkeit. Der Himmel, wenn er retten will, schützt durch Güte.

Tiefe Weisheit
1. Die drei Schätze als Gegenprinzip zur Leistungsgesellschaft

Laozi stellt drei Tugenden vor, die der modernen Wettbewerbslogik radikal widersprechen. Güte (慈 cí) bedeutet nicht sentimentale Weichheit, sondern eine grundlegende Haltung des Wohlwollens gegenüber allem Lebendigen. Genügsamkeit (儉 jiǎn) ist keine asketische Selbstkasteiung, sondern die Fähigkeit, zwischen echten Bedürfnissen und künstlich erzeugten Begierden zu unterscheiden. Nicht-Vorangehen (不敢為天下先) ist keine Feigheit, sondern strategische Zurückhaltung – das Gegenteil von narzisstischem Profilierungsdrang. Diese drei Prinzipien bilden ein zusammenhängendes System: Wer gütig ist, muss nicht durch Härte kompensieren; wer genügsam ist, besitzt inneren Reichtum; wer nicht drängt, wird nicht gedrängt. In der deutschen Philosophietradition erinnert dies an Schopenhauers Mitleidsethik, die echte Moral nicht aus Pflicht, sondern aus Mitgefühl ableitet. Konkret: Ein Unternehmer, der aus Güte faire Löhne zahlt, gewinnt loyale Mitarbeiter. Ein Mensch, der genügsam lebt, ist unabhängig von Konjunkturschwankungen. Wer nicht ständig vordrängt, vermeidet unnötige Konflikte und Erschöpfung.

2. Das Paradox der Stärke durch Sanftheit

Laozi formuliert hier eine der zentralen taoistischen Paradoxien: Wahre Stärke entsteht nicht durch Aggression, sondern durch Nachgiebigkeit. Dieser Gedanke widerspricht fundamental der westlichen Heldenethik, die Mut mit Kampfbereitschaft gleichsetzt. Der Weise ist mutig, weil er gütig ist – nicht trotzdem, sondern deshalb. Güte schafft Verbundenheit, und aus Verbundenheit erwächst der Mut, für andere einzustehen. Genügsamkeit ermöglicht Großzügigkeit, weil wer wenig braucht, viel geben kann. Wer nicht voranstrebt, wird paradoxerweise zum Führer, weil er nicht durch Machtgier korrumpiert wird. Nietzsche würde hier widersprechen und von Sklavenmoral sprechen – doch Laozi meint keine Unterwerfung, sondern taktische Klugheit. Wie Wasser, das nachgibt und doch Felsen formt. In der Praxis: Ein Therapeut, der nicht belehrt, sondern zuhört, gewinnt tieferes Vertrauen. Ein Verhandlungsführer, der Raum lässt, erreicht nachhaltigere Kompromisse. Die Kraft liegt im Nicht-Erzwingen.

3. Die Todeswarnung als gesellschaftliche Diagnose

Laozis drastische Warnung – „das ist der Tod!" – ist keine metaphysische Drohung, sondern eine präzise Analyse gesellschaftlichen Verfalls. Wenn eine Kultur Güte durch Härte ersetzt, Genügsamkeit durch Gier und Demut durch Selbstüberhöhung, zerstört sie ihre eigenen Grundlagen. Dies ist keine moralische Predigt, sondern systemische Logik: Eine Gesellschaft, die nur auf Konkurrenz setzt, erschöpft ihre Ressourcen – menschliche wie natürliche. Der Himmel schützt durch Güte, nicht durch Waffen – das bedeutet: Langfristig überleben Systeme, die auf Kooperation statt Ausbeutung basieren. In der deutschen Nachkriegsgeschichte zeigt sich dies in der sozialen Marktwirtschaft, die Wettbewerb mit sozialem Ausgleich verbindet. Ökologisch gesehen: Nachhaltige Wirtschaft ist genügsam, nicht expansiv. Politisch: Demokratien, die Minderheiten schützen (Güte), sind stabiler als autoritäre Regime. Persönlich: Wer ständig über seine Grenzen geht, erleidet Burnout. Laozis Warnung ist zeitlos aktuell in einer Welt, die Wachstum über Bestand stellt.

Lebenspraxis
Fall 1: Führung im Teamkonflikt

Das Problem: Eine Abteilungsleiterin steht vor einem eskalierenden Konflikt zwischen zwei Mitarbeitern. Beide fordern, dass sie Partei ergreift und den jeweils anderen sanktioniert. Der klassische Managementansatz wäre, Autorität zu demonstrieren und eine klare Entscheidung durchzusetzen. Doch dies würde unweigerlich einen Verlierer schaffen und die Spaltung vertiefen. Die Führungskraft spürt den Druck, schnell und hart zu handeln, um Stärke zu zeigen.

Die taoistische Lösung: Sie wendet das Prinzip der Güte an, indem sie beiden Seiten mit echtem Interesse zuhört, ohne sofort zu urteilen. Statt eine Lösung zu erzwingen, schafft sie einen Raum, in dem beide ihre Perspektiven ausdrücken können. Durch Genügsamkeit verzichtet sie auf den Wunsch, als „starke Chefin" dazustehen, und durch Nicht-Vorangehen lässt sie die Lösung aus dem Prozess selbst entstehen. Paradoxerweise gewinnt sie dadurch Autorität: Die Mitarbeiter erleben, dass ihre Anliegen ernst genommen werden, und finden selbst einen Kompromiss. Ihre Güte ermöglicht den Mut, Konflikte nicht zu unterdrücken, sondern konstruktiv zu bearbeiten. Das Team wird gestärkt, nicht gespalten.

Fall 2: Finanzielle Genügsamkeit und wahre Großzügigkeit

Das Problem: Ein junger Berater verdient gut, gibt aber fast alles für Statussymbole aus – teures Auto, Designerkleidung, exklusive Restaurants. Er glaubt, dies sei notwendig, um Erfolg auszustrahlen und Kunden zu beeindrucken. Gleichzeitig fühlt er sich innerlich leer und kann sich nicht vorstellen, für wohltätige Zwecke zu spenden, weil er „nicht genug" habe. Seine Großzügigkeit ist an Bedingungen geknüpft: erst mehr verdienen, dann geben.

Die taoistische Lösung: Er beginnt, Genügsamkeit zu praktizieren, indem er seinen Lebensstil vereinfacht. Nicht aus Zwang, sondern aus der Erkenntnis, dass echter Wert nicht in Besitz liegt. Er reduziert unnötige Ausgaben und entdeckt, dass seine Kunden ihn für seine Kompetenz schätzen, nicht für sein Auto. Mit dem gesparten Geld unterstützt er ein lokales Umweltprojekt. Paradoxerweise fühlt er sich dadurch reicher, nicht ärmer. Genügsamkeit schafft Spielraum für Großzügigkeit. Seine innere Haltung wandelt sich: Statt ständig mehr zu wollen, erlebt er Fülle im Teilen. Dies ist keine Askese, sondern befreite Lebensführung.

Fall 3: Erziehung mit mitfühlender Autorität

Das Problem: Ein Vater kämpft mit seinem pubertierenden Sohn, der zunehmend rebelliert. Der Vater reagiert mit Strenge und Kontrolle, weil er glaubt, nur so Respekt zu erlangen. Er verbietet, droht mit Konsequenzen und versucht, durch Härte Gehorsam zu erzwingen. Doch je mehr er drängt, desto mehr zieht sich der Sohn zurück. Die Beziehung verhärtet sich in einem Machtkampf, den beide nicht gewinnen können.

Die taoistische Lösung: Der Vater erinnert sich an Laozis Prinzip der Güte und ändert seinen Ansatz. Statt zu befehlen, fragt er nach den Gründen für das Verhalten seines Sohnes. Er praktiziert Nicht-Vorangehen, indem er dem Sohn Raum gibt, eigene Entscheidungen zu treffen und aus Fehlern zu lernen. Durch Genügsamkeit verzichtet er auf den Anspruch, einen „perfekten" Sohn zu formen. Diese Haltung ist nicht Schwäche, sondern Stärke: Der Sohn spürt, dass er als Person respektiert wird, nicht nur kontrolliert. Langsam öffnet sich ein Dialog. Die Güte des Vaters schafft Vertrauen, und aus Vertrauen erwächst echte Autorität – nicht durch Zwang, sondern durch Beziehung.

Tao Te Ching

Library of Wisdom

Beginner's Guide to the Tao

The Tao Te Ching (The Book of the Way and Virtue) is a fundamental text of ancient wisdom. Comprising 81 short poetic chapters, it isn't meant to be read like a novel, but savored like tea. It explores the nature of the 'Tao' — the essential, unnameable flow of the universe.

What is The Tao?
Think of the Tao as the 'Flow' of the universe. It isn't a god to worship, but the natural rhythm behind all things. When you align your life with this flow, struggle disappears and clarity returns.
The Art of Wu Wei
Wu Wei means 'Effortless Action.' It doesn't mean being lazy; it means acting at the right moment without forcing outcomes. Like a sailor using the wind, stop fighting the current and you will go further.
How to Use This Library
These 81 verses are meant to be felt, not just read. Don't binge them. Select one tile below that calls to you today. Read it, breathe, and let the wisdom settle in your mind like steeping tea.

"Profound wisdom, simplified for modern life. We believe wisdom should flow like water—clear and reachable."

We have created the most accessible, easy-to-understand interpretations available on the web. No riddles, just clarity.
The 81 Verses
Verse 1
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Verse 2
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Verse 3
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Verse 4
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Verse 5
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Verse 6
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Verse 7
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Verse 8
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Verse 9
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Verse 10
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Verse 11
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Verse 12
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Verse 13
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Verse 14
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Verse 15
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Verse 16
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Verse 17
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Verse 18
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Verse 19
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Verse 20
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Verse 21
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Verse 22
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Verse 23
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Verse 24
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Verse 25
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Verse 26
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Verse 27
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Verse 28
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Verse 29
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Verse 30
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Verse 31
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Verse 32
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Verse 33
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Verse 34
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Verse 35
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Verse 36
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Verse 37
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Verse 38
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Verse 39
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Verse 40
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Verse 41
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Verse 42
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Verse 43
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Verse 44
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Verse 45
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Verse 46
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Verse 47
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Verse 48
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Verse 49
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Verse 50
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Verse 51
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Verse 52
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Verse 53
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Verse 54
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Verse 55
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Verse 56
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Verse 57
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Verse 58
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Verse 59
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Verse 60
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Verse 61
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Verse 62
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Verse 63
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Verse 64
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Verse 65
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Verse 66
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Verse 67
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Verse 69
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Verse 70
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Verse 71
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Verse 72
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Verse 73
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Verse 74
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Verse 75
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Verse 76
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Verse 77
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Verse 78
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Verse 79
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Verse 80
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Verse 81
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